Gedanken zum Weihnachtsfest

Spätestens seit Ende September werden wir verstärkt darauf Aufmerksam gemacht, dass die Weihnachtszeit ansteht. Der Einzelhandel beginnt gefühlt immer früher im Jahr das Angebot mit weihnachtlichen Artikeln zu füllen.

Für ausgesprochene Liebhaber von Weihnachten beginnt damit die schönste Zeit des Jahres, für andere ist es das erste Signal von zunehmendem Stress. Man hat sich gerade vom schönen warmen Sommer verabschiedet, der Herbst hat noch gar nicht richtig begonnen und schon stehen die ersten Lebkuchen im Regal. Zum Glück dauert es trotzdem noch ein Weilchen, bis die Ohren mit Wham und Maria Carey bombardiert werden. Meist geht dies einher mit der Eröffnung des Weihnachtsmarktes, was es dann wieder etwas erträglicher macht – es gibt schließlich Glühwein.

Die Weihnachtszeit ist mittlerweile von vielen Klischees umgeben: Der Weihnachtsmann wohnt am Nordpol, fliegt mit seinem Rentierschlitten um die ganze Welt. Wir wünschen uns weiße Weihnachten. Es riecht überall nach Räucherkerzen und alle haben sich plötzlich lieb. Weihnachten ist das Fest der Liebe.

Es gibt aber auch genau gegenteilige, vielleicht nicht weniger klischeehafte Meinungen zur Weihnachtszeit: Familienmitglieder, die sich fast das ganze Jahr nicht gesehen haben, treffen auf engstem Raum aufeinander, ohne Chance sich aus dem Wege zu gehen – spätere Streitereien vorprogrammiert. Die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum werden immer teurer und wahnwitziger.

Weihnachten ist längst sinnentleert und es geht nur noch darum möglichst viel teures Zeug unter die Leute und unter den Weihnachtsbaum zu bringen. Zu guter Letzt gibt es noch all jene, die Weihnachten allein sind- die Selbstmordraten sind in dieser Zeit recht hoch.

Alle diese gesagten Dinge treffen zwar mehr oder weniger zu, dennoch stellt es nicht ansatzweise Weihnachten dar.

Ich denke, so ziemlich jeder kennt die Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens. Es geht um den alten, kaltherzigen, zynischen Ebenezer Scrooge. Er ist ein alter griesgrämiger Mann, dem es nur um sein Geld geht. Er scheint keinerlei Menschlichkeit mehr zu besitzen- für irgendwelche menschlichen Regungen hat er nur sein berühmtes: “Humbug“ übrig.

In der Nacht zu Weihnacht bekommt er zuerst Besuch von seinem verstorbenen Geschäftspartner, der mit schweren Ketten behangen ist. Er erklärt ihm, dass er zu Lebzeiten diese schweren Ketten selber geschmiedet hat, mit dem Leid, das er verursacht hat. Gleichzeitig warnt er Scrooge vor dem gleichen Schicksal und warnt ihn, dass er in der Nacht von drei Geistern heimgesucht werden würde. Diese würden ihm die Chance geben, sein Leben zu verändern.

Als die Geister nacheinander erscheinen, lernen wir Ebenezer Scrooge von einer anderen Seite kennen. Er war nicht immer so kaltherzig und abgebrüht. Als Jugendlicher hatte er ein warmes Herz und ein Mädchen, dass er liebte. Der Geist der vergangenen Weihnacht zeigt ihm wie er als Lehrling zu Weihnachten von seinem Chef Geschenke bekam. Der alte Scrooge erinnert sich daran, wie sehr er seinen alten Chef mochte. Er hätte immer dafür gesorgt, dass sich seine Angestellten wohl bei ihm gefühlt hätten. Scrooge erinnert sich wehmütig an die alten Zeiten. Später sieht man, Scrooge als jungen Mann, wie er seine Liebe verliert. Er ist zu sehr damit beschäftigt sich um sein Geld zu kümmern und stellt dies über alles in seinem Leben. Als der alte Scrooge diese Szene wieder vor Augen hat, begreift er, wie dumm er damals war und versucht seinem Alter Ego zuzurufen, dass er das Mädchen zurückholen solle. Doch es sind nur Erinnerungen.

Der Geist der gegenwärtigen Weihnacht führt ihn unsichtbar durch die Stadt, zu all den Leuten, mit denen Scrooge zu tun hat. Er kommt zum Haus seines Angestellten Bob Cratchet. Dessen Sohn ist schwer krank. Die Familie hat kaum genug zu essen. Cratchet hat sehr zu leiden unter Scrooge und hätte allen Grund ihn zu hassen. Trotzdem bringt er einen Toast auf seinen Chef aus und wünscht Ihm alles Gute. Seine Frau ist da ganz anderer Meinung. Sie gibt Scrooge die Schuld dafür, dass es ihnen allen – besonders aber ihrem jüngsten Sohn, so schlecht geht. Cratchet spricht für Scrooge und seine Frau willigt widerwillig ein auf Scrooge zu trinken.

Scrooge ist sehr berührt und als er hört, dass der kleine Tim Cratchet sehr wahrscheinlich bald sterben wird, scheint er gar verzweifelt zu sein.
Der Geist der gegenwärtigen Weihnacht zeigt ihm auch seinen Neffen und dessen Feier. Auch dort hat man keine gute Meinung von Ihm. Sein Neffe spricht für ihn und erklärt, dass er Mitleid mit ihm hat, da er keine Ahnung hat von all den schönen Dingen im Leben.

Schließlich trifft Scrooge auf den Geist der zukünftigen Weihnacht. Er kommt in einer todesgleichen Gestalt und anders als die anderen beiden Geister spricht er kein einziges Wort. Er zeigt lediglich mit einem skelettartigen, gleichsam mahnenden Finger, wohin Scrooge gehen solle.

Es beginnt damit, dass er in eine der übelsten Gegenden in London geführt wird. Hier sieht man ein paar Diebe, die versuchen Geld für ein paar gestohlene Dinge von einem Hehler zu bekommen. Der erste zieht eine teure Taschenuhr hervor, die er lieber selbst behalten will. Danach kommt ein Löffel zum Vorschein, den er verkauft. Der zweite Dieb bringt eine warme Decke zu Verkauf. Man beginnt sich darüber zu unterhalten, dass die Dinge von einem Verstorbenen stammen. Sie haben ihm die Dinge gestohlen, weil sich einerseits niemand für ihn interessiert habe und er sie sowieso nicht brauchen würde. Der dritte Dieb bringt ein Nachthemd hervor und sagt voller Stolz, dass er es dem Toten ausgezogen habe, der nun nackt in seinem Sarg liegen würde. Die Stimmung ist voller Häme und Schadenfreude. Scrooge hört dies und meint, es muss ein furchtbarer Mensch gewesen sein, wenn man ihn so behandelt. Er ist neugierig und möchte mehr darüber wissen… doch der Geist der zukünftigen Weihnacht führt ihn weiter.

Sie sehen die Familie Cratchet. Sie sind traurig und weinen. Der kleine Tim ist gestorben. Er war zu krank und zu schwach. Scrooge ist entsetzt. Gleichsam will er weg von diesem traurigen, schrecklichen Ort. Er bittet den Geist, er möge ihm stattdessen erklären, wer dieser schlimme Mensch war, über den sich die Diebe vorher unterhalten hatten. Der Geist hebt seinen Finger und sie finden sich auf dem Friedhof wieder…vor einem Grabstein. Scrooge bricht zusammen als er seinen eigenen Namen liest. Er bittet den Geist, dass er dieses Schicksal abwenden möge. Er sei ein anderer Mann und hätte seinen Sinn geändert. Er will ab jetzt alles besser machen.

Scrooge erwacht in seinem Haus und stellt erleichtert fest, dass er noch lebt. Aber nicht nur das- er ist tatsächlich ein anderer Mensch geworden. Er hat eingesehen, dass er sein bisheriges Leben vergeudet und dabei viel Leid verursacht hat. Ab jetzt setzt er alles daran, nur noch Gutes zu tun und er beginnt das Leben zu umarmen. Der kleine Tim ist nicht gestorben und sie lebten glücklich bis ans Ende Ihrer Tage

Soweit die Geschichte.

Ich hatte diese Woche die Gelegenheit die Weihnachtsgeschichte als Schauspiel zu sehen. Die kleine Schauspieltruppe und das minimalistische Bühnenbild sorgten zumindest bei mir dafür, mich mehr in die Szenen hineinzuversetzen.

Was habe ich also aus der Geschichte für mich mitgenommen?

Oberflächlich betrachtet kann man durchaus wieder bei den alten Klischees landen. An Weihnachten ist alles anders als im Rest des Jahres und hier sind wir quasi verpflichtet uns gegenseitig zu lieben und zu achten. Andererseits soll der herzloseste und gefühlloseste Mann in ganz London in einer Nacht plötzlich bekehrt werden.

Schauen wir uns die Sache etwas genauer an, so können wir erkennen, dass Scrooge den Verlust der Verbindung der Menschen zu sich selbst und damit zu Ihren Mitmenschen repräsentiert. Er zeigt, was passiert, wenn wir uns zu sehr an weltliche, materielle Dinge klammern, wenn wir aufhören Menschen zu sein und uns wie Maschinen verhalten. Dennoch sehen wir, dass selbst ein derartig furchtbarer Mensch nicht immer so war. Er hat nur irgendwann vergessen, was wirklich wichtig ist und hat falsche Ideale entwickelt. Durch die Heimsuchungen hat er sich wieder erinnert und begann mit der Selbstreflexion – er schaute in sich.

Der zweite Geist zeigte Ihm die Auswirkungen seines Lebens in der Gegenwart – so schaute Scrooge um sich.

Der dritte Geist war ein Fingerzeig auf das ihm bestimmte Schicksal, das Urteil das ihm drohte. Somit schaute er über sich.

Am Ende dieser drei Reisen sehen wir einen besseren Menschen, einen der quasi seine eigene Erleuchtung erfahren hat. Vergessen wir dabei auch nicht, dass er seine Reisen im Nachthemd unternommen hat – also quasi weder nackt, noch bekleidet.

Vielleicht sind diese freimaurerischen Parallelen reiner Zufall. Soweit ich weiß, gibt es keine verlässlichen Hinweise darauf, ob Charles Dickens Freimaurer war. Zumindest die Ideale und Gedanken der Freimaurerei dürften ihm trotzdem bekannt gewesen sein.

Die Weihnachtsgeschichte wurde am 19.Dezember 1843 das erste Mal veröffentlicht. Schaut man sie sich etwas genauer an, so stellt man verblüfft fest, dass dieser Weihnachtsklassiker fast vollständig ohne religiöse Untertöne auskommt. Sicher, Scrooges alter Teilhaber scheint mit seinen Ketten aus der Hölle zu kommen, aber bis auf den Schlusssatz der Geschichte:“…und Gott segne uns alle…“ bleibt es bei diesen Erwähnungen. Es werden keinerlei Engel oder göttliche Interventionen erwähnt. Dickens präsentiert uns hier zwar die Geister der Weihnacht, trotzdem bekommen wir es mit einem Menschen zu tun, der es schafft mit eigenen Kräften sein Leben zu ändern und sich zu retten. Die Geister sind lediglich Wegweiser für Ihn, sie handeln nicht.

Genau das ist es auch, was diese Geschichte so populär gemacht hat. Sie zeigt uns, dass jeder von uns das Potenzial zum Guten hat, jeder die Möglichkeit besitzt, ein besserer Mensch zu werden. Das wirklich Wichtige an der Weihnacht sind nicht die Geschenke, oder das vermeintliche Erdulden von Familienmitgliedern, die man kaum mag. Weihnachten soll uns eigentlich – wie Ebenezer Scrooge – dazu bringen über unser vergangenes Leben intensiver nachzudenken. Daher wünscht man meist nicht nur ein Frohes Fest, sondern gern auch besinnliche Weihnachten. Besinnen wir uns auf uns selbst und versuchen für uns alle ein besseres Leben zu gestalten.

Deshalb wünsche ich Euch allen
Besinnliche Weihnachten.

Bruder M. M.
Zeichnung vom 03.12.2022