Bauhütte und Stadt- Die Zeichnung anlässlich des 25. Jahrestages der Reaktivierung der Loge „Zur Harmonie“ zu Chemnitz

Bauhütte und Stadt

Diese Zeichnung wurde von Br. Dr. H. aus Anlass der 25 Reaktivierung der Loge „Zur Harmonie“ zu Chemnitz i.O. am 07.11.2015 aufgelegt.

Ehrwürdigste Meister, geliebte Brüder alle,

die heutige Zeichnung ist einer Thematik gewidmet, die das Zusammenleben der Brüder Freimaurer in der profanen und in der maurerischen Welt betrifft. Aus Anlass der 25. Reaktivierung unserer Loge „Zur Harmonie“ zu Chemnitz i.O. soll diese Zeichnung ein Versuch sein, mehr als nur eine Bestandsaufnahme vorzunehmen, sondern kritisch in sich zu schauen, um sich das eigene Verständnis zum Zusammenleben im engeren und im weiteren Sinne zu vergegenwärtigen. Die Zeichnung, die manche Brüder aus Anlass des heutigen Jubiläums möglicherweise erwartet haben, könnte ich nicht ruhigen Gewissens auflegen. Doch wie lässt sich das Thema der heutigen Zeichnung analytisch sine ira et studio aufbereiten, also ohne Zorn und Eifer und ohne Gefahr, den heutigen Anlass verblassen zu lassen? Hierzu schlage ich vor, die Brüder Freimaurer in ihrer jeweiligen Umgebung „aufzusuchen“ und auf eine gedankliche Reise mitzunehmen, die ihren Ausgangspunkt in der Bauhütte und in der Stadt hat.

I) Die Bauhütte als Ausgangspunkt:

Grundlegender Konsens sollte sein, dass nur ein intaktes Logenleben die geistige Stärke vermitteln kann, um sich von der profanen Welt abzugrenzen. Doch was können Störfaktoren sein, die ein solches Zusammenleben beeinträchtigen, wenn nicht sogar bedrohen? Die einzelnen Bestandteile der Mauer, also die Steine, die die Brüder symbolisieren, sind unterschiedlich. Manche Steine liegen noch umher, um in den großen Tempelbau eingefügt zu werden; manche Steine fügen sich ein, um der weiteren Vervollkommnung zu harren; manche sind bereits zu glatt, um dem Bau die notwendige Haftmöglichkeit für den Mörtel zu geben. Die Geduld und Einsicht eines jeden einzelnen ist an dieser Stelle und in diesem Moment gefordert, um zu überlegen, welchem Steintypus man sich selbst zuordnet.

Die Einsicht hierzu verlangt ein gewisses Maß an Weisheit und Selbstdisziplin, da die Selbstkritik verlangt, auch unangenehme Fragen zu reflektieren, und nicht nur der Schönheit den unbedingten Vorzug zu geben, um anschließend der Gefahr der Selbstblendung zu erliegen. Welche Fragen sollte man im Rahmen der Selbstkritik sich selbst gegenüber überhaupt zulassen? Welcher Maßstab kann und muss angesetzt werden, um daraus die Verhältnismäßigkeit des eigenen Handelns bzw. der Brüder ableiten zu können? Hierzu muss jeder Bruder um sich schauen und seine unmittelbaren Nachbarn als Grenze eigenen Handelns begreifen. Das profane Sprichwort: „Das, was man nicht will, dass man Dir tu, das füge keinem anderen zu“ sollte auch grundlegende Maxime der Brüderlichkeit sein. Allerdings wäre dies zu oberflächlich, wöllte man die Diskussion um das brüderliche Miteinander in der Bauhütte an dieser Stelle beenden. Drei weiterführende Fragen könnten in diesem Zusammenhang wie folgt lauten:

1. Frage

Was hat der einzelne Bruder für die Gemeinschaft getan, was kann er noch tun?

Begriffliche Abgrenzung: Desinteresse-Übereifer; Gefahr für den Bruder Freimaurer: der Übereifer kann bei Enttäuschungen in Desinteresse umschlagen und in einen geistigen Abgrund führen. Hier ist jeder Bruder gefragt, den Betroffenen vor diesem Abgrund zu bewahren. Die allegorische Darstellung im Aufnahmeritual sollte uns alle dazu mahnen.

2.Frage

Was wird von dem einzelnen Bruder durch die Gemeinschaft erwartet?

Begriffliche Abgrenzung: Unterschätzung-Überschätzung; Gefahr für den Bruder Freimaurer: der einzelne Bruder kann sich vom großen Hoffnungsträger zur Enttäuschung entwickeln; im anderen Falle werden durch kollektive Routine möglicherweise Interessen oder Talente Einzelner nicht entdeckt. Durch Gespräche sollten die Brüder wechselseitig ihre individuellen Interessen artikulieren und den Mut haben, sich in der Bauhütte geistig zu öffnen; durch Vorträge und angeregte Diskussionen sowie brüderliche Gespräche kann dies gefördert und vertieft werden. Ansonsten läuft die Gemeinschaft Gefahr, unbemerkt auseinander zu laufen, gerade wenn die allgemeine Stimmung nachhaltig von negativen Strömungen und atmosphärischen Spannungen begleitet wird, die sich sogar auf die Gästeabende auswirken können.

3.Frage

Wie soll sich der einzelne Bruder innerhalb der Gemeinschaft verhalten?

Diese Frage zählt wohl zu den schwersten und lässt sich nicht mithilfe eines Begriffspaares abmessen. Mit der Aufnahme wird der einzelne vormals Suchende als Bruder in die Weltbruderkette aufgenommen, wenn er sowie die brüderliche Gemeinschaft -stellvertretend hierfür die Brüder in der Bauhütte- dies aus freien Stücken wechselseitig wünschen. Die Gemeinschaft hat zuvor während der Gästeabende versucht, sich ein Bild von dem Suchenden zu verschaffen. Der so aufgenommene Bruder beginnt während der geöffneten Loge, die aus Anlass seiner Aufnahme stattfindet, symbolisch mit der Arbeit an seinem rauen Stein durch Benützung des Spitzhammers. Eine Anleitung etwa „Wie werde ich ein Freimaurer“ oder sogar „Wie werde ich ein besonders wertvoller Bruder“ gibt es nicht. Die alten Pflichten von 1723 geben bereits jedem jungen Lehrling zusammen mit den „ersten Werkzeugen“ die Möglichkeit die Saat zu säen, um ggfs. später zu ernten. Dies setzt jedoch voraus, dass eine „spätere Ernte“ überhaupt gewollt sein kann.

Arbeitet man als Freimaurer nicht vielmehr ständig am großen Bau und am eigenen Stein? Wann tritt der Erfolg des ewig Übenden überhaupt ein? Ist nicht vielmehr die Bauhütte der Ort, an dem kein erfolgsorientiertes Denken, sondern Kontinuität der Arbeit an sich selbst gefragt ist? Jeder Bauhütte ist die rege Teilnahme der Brüder an den Tempelarbeiten zu wünschen. Wünschenswert ist auch der Gedankenaustausch, der auch aus Anlass durchaus besuchenswerter Clubabende stattfinden sollte. Dass es dabei zu Schwankungen in der Teilnehmerzahl kommen kann, sollte nicht entmutigen, sondern als Herausforderung gesehen werden, was man anders oder besser machen kann. Schwieriger ist es jedoch, wenn grundlegende Erwartungen einzelner durch andere einzelne oder gar durch die Gemeinschaft der Brüder aus deren Sicht nicht (mehr) erfüllt werden. Auch die reine Zeitdauer der Mitgliedschaft, die oft durch Schurzergänzugselemente symbolisiert wird, sowie Insignien einer Amtsinhaberschaft dürfen nicht dazu verleiten, einen Alleinvertretungsanspruch für die Gedankenfreiheit geltend zu machen. Was kann jedoch die Gemeinschaft tun, um solchen Avancen in geeigneter Art und Weise zu begegnen?

Vor dieser Frage stehen insbesondere Logen, wenn sie bereits einer inneren Zerreisprobe ausgesetzt sind. Oft genug wird das Problem zu spät oder ungenügend erkannt und verleitet zum Aussitzen. Gelingt diese Zerreisprobe nicht, so decken einzelne Mitglieder oder aber es kommt sogar zu einer Spaltung. Gebietet es nicht vielmehr die Natur der maurerischen Sache, mit Weitsicht eine maßstabs- und vor allem winkelgerechte Reaktion auf gleicher Ebene zu zeigen, um diese Zerreisprobe von vorn herein zu verhindern? Hierüber sollte jeder Bruder bei Gelegenheit nachdenken.

II) Die Stadt als Ausgangspunkt:

Die Stadt steht für das profane Leben. Das profane Leben kann man als Ort der Bewährung für einen jeden Freimaurer ansehen. Die dazu im Ritual nach Schließung der Loge gelebte Aufforderung des ehrwürdigen Meisters lässt erahnen, dass die in der geöffneten Loge, aber auch im Bereich der Bauhütte vermittelten Ideale unauffällig in der profanen Welt gelebt werden sollen. Die Frage „Warum bist Du so?“ sollte durch diskrete Taten verdient werden. Diese Taten können auf verschiedene Weisen gelebt werden; ob nun im Beruf oder im Privatleben: es geht immer darum, Dinge mit einem gewissen Anstand zu tun, insbesondere andere Menschen als Individuum zu achten, auch wenn man nicht immer einer Meinung ist. Bekanntermaßen ist die profane Welt nicht immer in der Lage, dies zuzulassen und den Toleranzgedanken maßvoll zu verorten. Genau hieran sollte jeder Bruder sein Verhalten in der Stadt ausrichten und sein Wirken unauffällig gut gestalten. Auch dies verlangt große Disziplin. Umso mehr sind die Akteure dazu verurteilt, im Hintergrund zu bleiben. So verhält es sich auch mit der Wohltätigkeit. Viele Organisationen schreiben sich auf die Fahnen, Gutes zu tun und stets darüber zu reden. Die Freimaurerei nimmt grundsätzlich einen anderen Weg, indem darauf geachtet wird, dass die gute Tat im Vordergrund steht und nicht nur die Akteure.

Die Stadt ist auch der Teil des politischen Lebens, wie der altgriechische Begriff der „Polis“ zeigt. Wo, wenn nicht hier in diesen repräsentativen Räumlichkeiten des Chemnitzer Rathauses wird dies deutlicher?! Oft genug hat der Einfluss der Maurerei dafür gesorgt, dass Frieden und Aussöhnung beflügelt wurden oder dass Konflikte entschärft worden sind.

Die Stadt – sie steht auch für Freiheit als wichtige Rahmenbedingung für gemeinschaftliches Leben. Der Spruch aus vergangenen Zeiten, dass Stadtluft frei mache, dürfte jedem geläufig sein. Das profane Stadtleben birgt aber auch Gefahren in sich. Neid, Hass, Missgunst, Eitelkeit, Geiz, Verrat und Falschheit stehen sich in ihrer blasphemischen Natur an nichts nach. Diese Begriffe werden durch die Gegensätze wie Ehrlichkeit, Großzügigkeit, Bescheidenheit, Gemeinsinn und Solidarität in ein moralisches Spannungsfeld gebracht; hierfür sollte jeder Bruder in der profanen Welt einstehen. Das Gute ringt mit dem Bösen und bildet als wechselseitiges Gegenstück die Vervollkommnung des Laufes der Dinge wie oben so wie unten. Das musivische Pflaster lässt uns erahnen, dass es nicht nur Licht aber auch nicht nur Schatten geben kann, sondern beides in Einklang und Harmonie zu bringen ist.

III) Bauhütte und Stadt als Synthese:

Die grundlegende Frage, die man sich in diesem Zusammenhang überlegen muss, ist die nach der Vereinbarkeit beider Orte. Die profane Welt ist eine Herausforderung für jeden Bruder, sich als Freimaurer zu bewähren. Umgekehrt finden viele –menschliche- Einflüsse ihren Eingang in die Bauhütte. Diese Wechselwirkung beider Bereiche kann äußerst segensreich sein, wenn die bereits erwähnten unterschiedlichen Werk- und Wirkbereiche sich ergänzen und jeder einzelne Bruder einem jeden dieser Bereiche genug thematischen Freiraum gibt, um sich dort frei entfalten zu können.

Lassen wir es zu! Es geschehe also!

gez. Dr. H.